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Berlin will die Wohnungsnot am liebsten verbieten

In Berlin steigen Wohnungspreise und -mieten ungebremst. Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen will der neue Senat dagegen vorgehen. Eine Entscheidung lässt die Branche dabei besonders verzweifeln.

In keiner Stadt sind die Wohnungspreise in den letzten Jahren so schnell gestiegen wie in Berlin. Keine andere Stadt verzeichnet so viele Zuzügler und wird auch in Zukunft so stark wachsen. Und trotzdem leistet man sich in der Hauptstadt gern den Luxus, ausgiebig über Grundsatzfragen zu streiten und fragwürdige Personalentscheidungen zu treffen.

So steht in der neuen rot-rot-grünen Regierungskoalition aktuell nicht einfach die Frage im Vordergrund, auf welchen Bauplätzen zügig und jedes Jahr rund 20.000 Wohnungen gebaut werden könnten – das jedenfalls ist die Zahl, die Andreas Geisel (SPD) im September als damaliger Senator für Stadtentwicklung für notwendig erachtete, um den Bedarf zu decken.

Unter der neuen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) geht es vielmehr um eine Ausweitung von Milieuschutzregeln, um mehr Mitbestimmung von Anwohnern und um die Frage, wie die im Baugeschäft vollkommen ungeübten öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften schnell neue Mietwohnungen mit strengen Preisdeckeln bauen können.

Dabei war das Jahr 2016 aus Sicht von Berliner Mietern und Käufern eigentlich schon ein Erfolg. Bis Ende September wurde der Neubau von 14.005 Wohnungen genehmigt. Das war ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um fast 22 Prozent. Hochgerechnet bis zum Jahresende könnte tatsächlich die notwendige Zahl erreicht werden.
„Die Senatorin, die Wohneigentum und Investitionen als etwas Böses sieht“

Ob auch im kommenden Jahr so viele neue Wohnungen genehmigt werden, erscheint nun fraglich. Eine der ersten Maßnahmen der rot-rot-grünen Regierung war eine Absage eines der größten Bauvorhaben Berlins: die Elisabeth-Aue im Norden Pankows. Auf einem Baufeld von 70 Hektar Größe sollten dort zunächst Wohnungen für 12.500 Menschen entstehen, in weiteren Ausbaustufen sogar noch mehr. Doch da man keine neuen Flächen versiegeln möchte und auch kein Konzept für die notwendige Verkehrsinfrastruktur hat, liegt das Vorhaben jetzt auf Eis.

Stattdessen stehen nun ganz andere Themen im Vordergrund. In einem Interview der „Zeit“ mit dem Stadtsoziologen und neuen Staatssekretär Andrej Holm etwa ging es vornehmlich um dessen Vergangenheit als Offiziersanwärter beim DDR-Ministerium für Staatssicherheit. Oder um die Zweckentfremdung von Mietwohnungen als Ferienwohnung: Einige Tausend Apartments in der Hauptstadt werden über Portale wie AirBnB dauerhaft an Touristen vermietet.

Auch die neue Regierung will neue Wohnungen. Doch wenn es um konkrete Maßnahmen geht, scheinen Verbote im Vordergrund zu stehen. Beispielsweise ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen. Oder eine Deckelung bei der Umlage von Sanierungskosten: Wer eine Wohnung, auch energetisch, saniert, sollte idealerweise nur so lange den Mietpreis erhöhen dürfen, bis die Kosten wieder eingespielt sind – so wünscht es sich vor allem die Linke.

Auf Seiten der Immobilienwirtschaft schlägt man so dramatisch wie möglich die Hände über dem Kopf zusammen. „Der Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Landesregierung strotzt vor Misstrauen in die Marktkräfte“, schimpfte vor wenigen Tagen Jacopo Mingazzini, Vorstand der auf die Privatisierung von Wohnungen spezialisierten Accentro Real Estate AG. In den entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrags, die unter der Überschrift „Bezahlbares Wohnen für alle“ stehen, erkennt Mingazzini „eine Orgie von Einschränkungen und ein Schritt in die Quasi-Verstaatlichung im Immobilienbereich“.

Mit seiner Kritik steht er nicht alleine da. Auch Dirk Wohltorf vom Landesverband Berlin-Brandenburg des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) spricht mit Blick auf Katrin Lompscher von einer „Senatorin, die Wohneigentum und Investitionen als etwas Böses sieht“. Und Jakob Mähren, Chef des Immobilienunternehmens Mähren AG, sagt: „Es wird alles getan, damit Investoren vertrieben werden.“

Sowohl die Verbotsankündigungen auf Regierungsseite als auch die heftige Kritik auf Wirtschaftsseite könnte man als Getöse abtun. Doch gerade in Berlin steht zu viel auf dem Spiel. Die Hauptstadt bündelt wie in einem Brennglas die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt der deutschen Ballungszentren. Dort ist die Dynamik besonders hoch, und die Folgen von unpassenden Neubauten oder politischen Fehlentscheidungen lassen sich schnell ablesen.

Beispielloser Zuzug aus anderen Teilen des Landes



Laut dem jüngsten Marktbericht des IVD kletterten die Wohnungsmieten in sogenannten Vorzugslagen binnen zwölf Monaten um 5,5 Prozent in die Höhe, in den einfacheren Standardlagen sogar um 6,7 Prozent. Gebrauchte Eigentumswohnungen verteuerten sich nach Angaben der Norddeutschen Landesbausparkasse Berlin-Hannover (LBS Nord) seit 2013 im Durchschnitt jährlich um mehr als zehn Prozent. Und die Postbank erwartet bis zum Jahr 2030 einen weiteren Preisauftrieb von 40 bis 50 Prozent, angetrieben durch einen beispiellosen Zuzug aus anderen Teilen des Landes, aber auch von Flüchtlingen.

Die neue Berliner Landesregierung setzt nun konsequent auf den Schutz der Mieter. „Mieter*innen sollen besser vor den Folgen von Immobilienspekulation, Luxussanierung und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen geschützt werden“, lautet ein zentraler Satz in der (konsequent den Gender-Stern verwendenden) Koalitionsvereinbarung von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Erreichen will dies die Koalition, indem sie „stadtweit die Ausweisung von sozialen Erhaltungsgebieten“ unterstützt. In diesen Milieuschutzgebieten sind Modernisierungen genehmigungspflichtig, und Mietwohnungen dürfen nur in Ausnahmefällen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Außerdem kann die Kommune (im Berliner Fall handelt es sich dabei um den zuständigen Bezirk) unter gewissen Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht ausüben.

Kritik nicht wegen geschäftlichen Interesses



Dass dieser Ansatz bei Wohnungsprivatisierern wie der Accentro AG auf heftigen Protest stößt, erstaunt nicht. Ihr Geschäftsprinzip besteht darin, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln und dann, in der Regel mit einem kräftigen Preisaufschlag, an bisherige Mieter, aber auch Kapitalanleger zu verkaufen.

Accentro-Chef Mingazzini begründet seine Kritik an der Senatspolitik allerdings nicht mit geschäftlichen Interessen, sondern mit der Berliner Verfassung. Diese hält nämlich in Artikel 28 fest: „Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“

Die Förderung von Wohneigentum finde in der Politik der neuen Landesregierung nicht statt, bemängelt Mingazzini. Damit hat er recht: In der 177 Seiten umfassenden Koalitionsvereinbarung findet sich der Begriff des Wohneigentums kein einziges Mal.

Dabei sei der Kauf einer älteren Eigentumswohnung eine der wenigen Möglichkeiten, mit der sich Berliner vor weiter steigenden Mieten schützen könnten, argumentieren die Vertreter der Immobilienwirtschaft. Mit einer Quote von rund 15 Prozent hat die Hauptstadt den geringsten Anteil an Wohneigentümern unter allen Bundesländern.
Wohnungsgesellschaften sollen alle Probleme lösen

Die drei Koalitionsparteien beschreiten jedoch einen ganz anderen Weg: Sie nehmen verstärkt die sechs landeseigenen Wohnungsbauunternehmen in die Pflicht, die der Koalitionsvertrag als „wichtigste Säule der sozialen Wohnraumversorgung “ bezeichnet. Heute gehören den sechs Gesellschaften zusammen gut 300.000 Wohnungen, was fast einem Sechstel des gesamten hauptstädtischen Wohnungsbestandes entspricht.

Darum könnte es in deutschen Städten noch enger werden



Besonders in deutschen Städten ist der Wohnraum knapp und deshalb teuer. Um das zu ändern, hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet. Durch den könnte es aber enger und lauter werden.

Bis zum Jahr 2025 soll dieser landeseigene Bestand auf 400.000 Wohnungen ausgebaut werden. Allein in den fünf Jahren der laufenden Wahlperiode sollen die landeseigenen Gesellschaften mindestens 30.000 Wohnungen bauen und 25.000 bereits existierende Wohnungen ankaufen.

Und das ist nicht alles. Geht es nach dem Koalitionsvertrag, sind die Gesellschaften die Lösung auch für andere Probleme. So sollten sie eine „eine umfassende Beteiligung von Anwohner*innen bei Bauprojekten“ praktizieren und energetische Modernisierungsvorhaben nur dann umsetzen, wenn die Warmmiete danach annähernd unverändert bleibt. Die Modernisierungskosten dürfen sie mit jährlich maximal sechs Prozent auf die Miete umlegen (gesetzlich zulässig sind elf Prozent), und vier Jahre lang dürfen sie bei bestehenden Mietverträgen die Mieten um höchstens zwei Prozent jährlich erhöhen.

Der Druck auf die öffentlichen Unternehmen ist enorm. Sie müssen neu bauen und sanieren, werden damit aber Verluste machen, die der Steuerzahler ausgleichen muss. Die Quadratur des Kreises auf dem Wohnungsmarkt.

Christian Hunziker, Michael Fabricius